Ute Seelig 

2024-03-13

R.I.P.

Als ich heute gegen Mittag mit dem Zug ankam, war der Bahnhofsvorplatz voll mit Schulkindern. Die Lehrkräfte versuchten gerade irgendwas zu organisieren oder zu sortieren, als ich im Vorbeigehen eine genervte und mahnende Stimme hörte: „Matthew, hör auf den toten Vogel rumzukicken!“
Mein Gehirn konnte noch nicht glauben, was die Ohren da vernommen hatten, als noch einmal dieselben Worte folgten: „Matthew, hör endlich auf den toten Vogel rumzukicken!“

Ich stellte mein Fahrrad auf den Ständer und fing an den Inhalt meiner Tasche zu durchsuchen. Schnell hatte ich ein Päckchen Papiertaschentücher gefunden. Während ich ein Tuch aus der Verpackung fingerte, hielt ich auch schon Ausschau nach dem Jungen, der bereits zwei Mal ermahnt worden war. Mein Blick fiel auf eine kleine Gruppe Schulkinder, die sich um den leblosen Körper eines kleinen gelbgrünen Vögelchens gestellt hatten. Mit nur zwei Schritten war ich dort, beugte mich zu dem kleinen Körper hinunter und wickelte ihn in das Taschentuch ein. Das dauerte nur wenige Sekunden. Ich ging dann auch gleich wieder weg. „Mission completed.“

Beim Weggehen hörte ich dann noch eine Kinderstimme hinter mir. „Danke.“
Ich habe mich nicht mehr umgedreht, sondern das Vögelchen in meinem Fahrradkorb gelegt und die Weiterfahrt angetreten.

Das Alles hat nur wenige Momente gedauert. Und noch bevor meine Empörung über den blöden Matthew Raum gewinnen konnte, war da auch schon die Dankbarkeit und Rührung darüber, dass ein anderes Kind verstanden hat und dankbar war. Und vielleicht andere auch.

R.I.P. kleines Vögelchen.
Danke.